Bei näherem Interesse an diesem Thema

Geschichtliches zur Psychotherapie

Ich wollte schon immer einmal mit Eva und Adam beginnen. Das ist hier eine gute Gelegenheit.

Im weitesten Sinne könnte man nämlich die erste psychotherapeutische Behandlung eigentlich Eva (der sagenhaften Frau von Adam) andichten.

Zumindest nach der Mythologie oder Religion der Juden und der Christen – bzw. ähnlich im Islam. Denn die Frucht, von der da erzählt wird, ist die Frucht der Erkenntnis (der Erkenntnis von Gut und Böse, was gleichgesetzt werden kann mit dem Erkennen von Gut und Böse (s. dazu Schmitz 2007, 21)1), oder die Frucht der Einsicht.

Und eigentlich geht es, zumindest in den humanistischen, tiefenpsychologischen und systemischen Schulen der Psychotherapie, immer um Erkenntnis, um Einsicht. Ebenso, hie wie da ist vor allem die Selbsterkenntnis damit gemeint – also das Verstehen von psychischen Zusammenhängen die in einem vor der Selbsterkenntnis unbewusst abgelaufen sind.

Selbsterkenntnis, ein Begriff, der wahrscheinlich in den meisten Kulturen, Religionen und Mythen eine wichtige Rolle spielt.

Exemplarisch sei hier das klassisch, griechische Gnothi seauton erwähnt. Das „Erkenne dich Selbst“, war vermutlich einer der Sprüche, die im Altertum an den Säulen des Orakel-Tempels des Apollon (bzw. der Pythia) in Delphi zu finden waren.

Freud – Beginn der Psychoanalyse als „Mutter“ der Psychotherapie

Von Psychotherapie im heutigen Sinn kann man wohl erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts sprechen.

Als Ausgangspunkt ist Sigmund Freud zu nennen, der 1885 bei Jean-Martin Charcot in Paris auf dessen Experimente mit Hypnose aufmerksam wurde. Der Neurologe Freud versuchte diese Methode selbst, um Patienten zu behandeln. Er entwickelte aber bald sein Konzept der freien Assoziation und arbeitete hauptsächlich auf dieser Basis weiter (Psychoanalyse).

Einige Ideen Freuds sind nicht mehr zu halten, andere sind aber auch heute noch sehr bedeutungsvoll und haben in der Psychotherapie, bzw. auch in der Psychologie viel bewegt. Dazu zählen etwa das Unbewusste, Träume als zur Heilung wichtige Aspekte, das freudsche Strukturmodell der menschlichen Psyche (Über-Ich, Es und Ich).

(Eine Anmerkung: Die Psychoanalytiker selbst, beginnen die Psychoanalyse erst heutzutage als „Psychotherapie“ zu bezeichnen. Bis vor Kurzem sahen sie sich eher als eine eigene Form von Heilbehandlung, eben der Psychoanalyse.)

Andere wichtige Namen, deren Richtungen sich von Freuds Psychoanalyse ableiteten, bzw. abspalteten waren Adler (Individualpsychologie) und Jung (Analytische Psychologie), später dann Kohut (Selbstpsychologie) und andere.

 

Entwicklung der Verhaltenstherapie – das Gegengewicht zur Psychoanalyse

Etwa zur gleichen Zeit als Freud begann, seine Ideen zur Psychoanalyse zu entwickeln und umzusetzen (also Ende des neunzehnten Jahrhunderts), beschäftigte sich in den USA u.a. E. L.Thorndike mit Lerntheorien. Aus den Überlegungen zur Lerntheorie entwickelten Thorndike (instrumentelle Konditionierung) und J. B. Watson (amerikanischer Behaviorismus) schließlich die Verhaltenstherapie. In diesem Zusammenhang weitere bekannte Namen sind B. F. Skinner (es gibt kein Unbewusstes, der Mensch kommt als „leerer Tisch“ auf die Welt und lernt erst dann alles) und Iwan Pawlow (der die bekannten Experimente mit dem Hund und der Glocke machte. Pawlow belegte, dass die Konditionierung von Lebewesen ein Aspekt von Lernprozessen ist).

Nach dem 2. Weltkrieg entwickelte sich aus der klassischen Verhaltenstherapie mehr und mehr die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie heraus (die nicht nur das Verhalten eines Menschen einbezog, sondern auch sein Denken. Die Existenz eines Unbewussten im Menschen – das in der Psychoanalyse und vielen anderen Richtungen sehr wichtig ist – wurde aber abgelehnt).

 

Zwei konträre Betrachtungsweisen der menschlichen Psyche

Diese beiden Richtungen der Psychotherapie – Psychoanalyse und Verhaltenstherapie – vertraten bzw. vertreten sehr unterschiedliche Sichtweisen und Grundlagen, d. h., die Positionen sind sehr konträr.

Sehr verkürzt und vereinfacht, geht es in der Psychoanalyse als Heilverfahren vor allem darum, über seine Denk- und Handlungsweisen Einsicht zu bekommen, sprich vor allem darum, das Unbewusste im Patienten so weit wie möglich bewusst zu machen (da wo das „Ich“ sitzen sollte, sitzt Angst, da wo die Angst sitzt soll Mensch werden, also ein „Ich“).

Die Verhaltenstherapie kommt in ihrer Theorie ohne das Unbewusste aus und verlegt sich, wie der Name schon sagt, auf das reine Verhalten eines Menschen, bzw. dieses zu ändern. Und richtiges Verhalten, so meint die Verhaltenstherapie, kann und muss Mensch lernen.

Die später entwickelte Kognitive Psychotherapie (auch da gibt es mehrere Richtungen) hat zwar verstanden, dass der Mensch nicht als tabula rasa (leerer Tisch) auf die Welt kommt und schreibt ihm zumindest kognitive Vorgänge (Prozesse des Wahrnehmens, Erkennens, Begreifens, Urteilens und Schließens) zu, die die Handlungsweise eines Menschen beeinflussen. Ein Unbewusstes schließt sie allerdings nach wie vor aus, bzw. in der Theorie und Anwendung nicht ein.

Die Psychoanalyse hat das Menschenbild eines ängstlichen Menschen, das Menschenbild der Verhaltenstherapie ist nicht ausgearbeitet (und somit ist genau genommen keines existent).

 

Die erstaunliche Entwicklung Konträres zu vereinen

Interessanterweise begannen sich unwesentlich später, in verschiedenen Bereichen, andere Ideen zu entwickeln. Vor allem auf der Basis eines Menschenbildes (in Bezug auf psychische Erkrankung), das die Annahme voraussetzt, dass jeder Mensch die Fähigkeit zur Selbstheilung in sich angelegt hat, zu gesunden. Diese Sicht des Menschen ist erstens eine sehr konstruktive und zweitens lässt sie Raum für die beiden älteren Ideen (also, in den sogenannten humanistischen Psychotherapien kann der Mensch auch ein Unbewusstes haben und, dass jeder Mensch ein Verhalten an den Tag legt, das liegt auf der Hand – ob die jeweils passende Behandlungsbasis allerdings eine Lerntheorie sein muss, ist wieder eine andere Frage).

Wichtige Vertreter dieser Richtungen sind Moreno (Psychodrama), Rogers (Personzentrierte Psychotherapie), Perls (Gestalttherapie). Auch die Gestalttheoretische Psychotherapie – also die Richtung, nach der ich arbeite – gehört dazu, wie überhaupt die Gestalttheorie, bzw. Gestaltpsychologie. Ebenso kann man die Logotherapie und Existenzanalyse (Frankl) sowie die Transaktionsanalyse (Berne), wie einige weitere Richtungen dazu zählen.

 

Nur das System ist gefragt – der systemische Zusammenhang

In den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich noch eine weitere wichtige Richtung, nämlich die der Systemischen Therapien (u.a. Glasersfeld, Bertalanffy, Foerster, Maturana, ...)

Bei diesen Richtungen steht das gesamte System im Vordergrund und nicht die Problematik einer Person.

Damit ist hier die Wechselwirkung von hoher Bedeutung, gleich ob auf innerpsychischer oder Gruppenebene.

Auch die Gestalttheorie beruht sehr auf der Wechselwirkung.

 

 

 

Wie unterscheide ich denn die alle?

Alles unter einen Hut ...

Der Wunsch nach einer Einteilung der zahllos wirkenden Einzelrichtungen (Psychoanalyse, Individualtherapie, Kognitive Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, Personzentrierte Therapie, Gestalttheoretische ...) in einige, wenige, überschaubare Bereiche, wie es hier auch anklingt, ist zwar verständlich, aber nicht wirklich sinnvoll.

Die meisten Einzelrichtungen lassen sich nämlich meist mehreren oder allen dieser Bereiche zurechnen. Hier noch einmal die Bereiche, in die man (wer immer auch) glaubt die psychotherapeutischen Richtungen unter einen Hut zu bringen:

  • Tiefenpsychologie wie Psychoanalyse (geht von der Existenz eines Unbewussten aus, das Einfluss auf unsere Handlungen hat, von früher entstandenen Konflikten, die ebenda wirken),
  • Verhaltenstherapie (lediglich die Handlungen (das Verhalten) sind zu verändern, im Allgemeinen durch Lernen auf der Basis von Lohn oder Strafe),
  • humanistisch-existenzielle Richtungen (jeder Mensch hat Fähigkeiten zur Selbstheilung in sich angelegt. Oft sind diese blockiert. Die Methodik dieser Richtungen beruht darauf, Blockaden zu erkennen und wegzuräumen),
  • systemische Richtungen (der Systemische Ansatz beruht auf der Wechselwirkung in einem System).

 

Leider gibt es derzeit starke Strömungen, die verschiedenen psychotherapeutischen Richtungen unter einen Hut zu bringen. Das liegt wohl einerseits an dem dankenswerten aber unsinnigen Versuch, den Klientinnen und Klienten, die auf der Suche nach einer Therapie sind, die Suche zu vereinfachen. Andererseits sind aber wohl auch kommerzielle und rein verwaltungstechnische Interessen dahinter. Und weiters zeigt sich dabei einfach ein Trend, wie er zurzeit läuft, nämlich Individualität zugunsten von kommerziellen Interessen und dem leichteren Zusammenhalten von Macht zum Schweigen zu bringen.

 

... ist nicht immer machbar

Am Beispiel meiner Richtung – der Gestalttheoretischen Psychotherapie – sei das Konzept einmal durchgespielt.

Gerechnet werden wir zum humanistischen Bereich, weil wir davon ausgehen, dass der Mensch die Fähigkeiten zur Selbstheilung in sich trägt.

In der Gestalttheorie arbeiten wir aber auch tiefenpsychologisch, da die Existenz einer Dynamik, die in der Psychoanalyse „das Unbewusste“ heißt, die Wirkung des Unbewussten auf das Bewusste (auf den ganzen Menschen) für uns unbestritten ist und die Bewusstmachung dieser unbewusst ablaufenden Prozesse auch für uns sehr wichtig sind.

Wir arbeiten systemisch, da für uns Zusammenhänge und Wechselwirkung grundlegende Prinzipien sind (wenn auch mit einer anderen Erkenntnistheorie und unser Konzept vielleicht etwas weitgehender, als das der Systemischen Richtungen – was sich aber nicht auf die Qualität der Arbeit auswirkt, sondern vor allem theoretische Aspekte hat.)

Ja, man kann sogar sagen, dass wir auch verhaltenstherapeutisch arbeiten. Einerseits, weil sich selbst die Körperhaltung der Psychotherapeutin auf die Klientin, den Klienten auswirkt (Thema Wechselwirkung übrigens). Andererseits und im engeren Sinn, da es vorkommen kann, dass Klientinnen und Klienten, denen es eher schlecht geht, ein gewisses Maß an Leitung oder Stütze brauchen (bis sie fähig sind, ohne diese Stütze auszukommen). Weiters ist die Wirkung vieler psychotherapeutischer Handlungsweisen auch mittels Lerntheorien erklärbar.

 

Ein anderer Hut

Ein weiterer Versuch, die psychotherapeutischen Richtungen voneinander zu trennen und neu zusammenzuwürfeln, ist die Unterscheidung in:

  • problemorientiert und
  • lösungsorientiert.

 

Auch diese Unterscheidung ist nur begrenzt sinnvoll. Sicherlich ist die klassische Psychoanalyse eher rein problemorientiert, doch die neueren, tiefenpsychologischen Richtungen sind wohl auch lösungsorientiert oder gar nur lösungsorientiert.

Systemische Richtungen und die Verhaltenstherapie sind rein lösungsorientiert.

Und wie sieht das bei der Gestalttheoretischen Psychotherapie aus? Richtig, diese ist beides, sowohl lösungs- als auch problemorientiert.

 

 

 

 

Welche psychotherapeutische Richtung ist denn die Richtige?

Es gibt etliche, psychotherapeutische Richtungen, die sich manchmal auch noch in „Unter-Richtungen“ teilen. Ausdrücke wie „Schulen“ und „Methoden“ werden auch von den Fachleuten wie Kraut und Rüben durcheinandergeworfen und sind vor allem nicht wirklich klar definiert. Für die Klientinnen und Klienten ist dieser Dschungel meist schwer zu durchschauen.

 

Und welche Psychotherapeutin, welcher Psychotherapeut dann?

Eigentlich ist die Richtung, für die Sie sich entscheiden, kaum wichtig, auf jeden Fall aber die vertrauensvolle Beziehung zur Psychotherapeutin oder zum Psychotherapeuten. Wobei mit vertrauensvoll nicht harmonisch gemeint ist.

Es ist eben gerade die Aufgabe einer Psychotherapeutin, eines Psychotherapeuten das Gegenüber auf unangenehme Aspekte der eigenen Persönlichkeit aufmerksam zu machen, auf die Klientin/Klient bisher nicht gesehen hat, die aber bei einer Heilung (bestehende Symptome zu mildern oder aufzulösen, auffällige oder schwer tragbare Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern und die Reifung, Entwicklung und Gesundung der behandelten Personen zu fördern) Gewicht haben können. Darüber hinaus sollte Ihre Psychotherapeutin, Ihr Psychotherapeut sich gut in Sie und Ihre Problematik einfühlen können (Empathie), Ihnen durchgängig mit Wertschätzung begegnen.

 

Unterscheidung psychiatrische, psychologische und psychotherapeutische Arbeit

Kurz gefasst meine ich:

  • psychiatrische Arbeit beruht auf dem medizinischen Modell (Studium) und besteht weitgehend aus Diagnose und der Therapie fußend auf Pharmazie, Neurologie, etc.,
  • psychologische Arbeit beruht auf einem Studium, das verschiedene theoretische Modelle lehrt, und dient im Falle der klinischen Psychologie vor allem diagnostischen Zwecken und zu Heilbehandlungen ausschließlich aufgrund gelernter Methoden,
  • psychotherapeutische Arbeit beruht vor allem auf der Erfahrung die Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Zuge ihrer Ausbildung über ihre eigene Psyche gemacht haben (Eigentherapie) und der in der Ausbildung gelernten Theorie. Diese Kombination führt zu einer deutlich erhöhten Fähigkeit der Selbstreflexion, die sinnvoll und notwendig ist, um Klientinnen und Klienten nicht die eigene Geschichte umzuhängen.

 

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Fußnote

1Schmitz, Barbara: »Ihr werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses« (Gen 3,5). ›Gut‹ und ›Böse‹. Grenzziehungen in der Urgeschichte (Gen 1-9). In: Acklin-Zimmermann, Schmitz (Hg.) 2007 - An der Grenze. Theologische Erkundungen zum Bösen, S. 13–41. Online verfügbar unter http://www.theologie.uni-wuerzburg.de/fileadmin/01010100/_temp_/Schmitz_Gut_und_boese.pdf.